AM19 – Brief an Walter Gropius
Toblach, Sonntag, 14. August 1910
[Postskriptum:] Immer 2 mal in der Woche schreiben – ich kan werde es nicht erwarten können!! –
Sonntag
Mein geliebter
Was für eine unbändige Freude hast Du mir gestern Abend gemacht. Die lieben Bilder und die Studien nach Deinem \(wer hat’s gezeichnet)/ Akt. Ich bin ganz verrückt damit. Warum hast Du mir das eine Bild – stehend – (ich glaube aus \von/ einem Buch heraus \weg auf/schauend) – nicht – geschickt?
Das[,] was ich heute zurückschicke, mag ich nicht. – Es ist ein leidender – alter Zug in Deinem Gesicht – den Du nicht hast. Ich schicke es Dir – Du magst es verwenden. Von mir existiert nichts. Ich will hier einige Kodakbilder machen lassen und in München zum besten Photographen (wer ist es)? gehen und mich für Dich photographiren lassen. Momentan liege ich im Bett – bin nicht ganz wohl – was gäbe ich darum – wenn ich es wäre – verstehst Du mich? —
ist gestern bei uns angekommen, ich habe
ihn \(er wohnt bei uns)/ aber noch nicht gesehen, da ich ihn nicht in mein Schlafzimmer kommen lasse.
Mein – das erste Heft meiner Lieder, das in meine Hand kommt, bekommst Du! . G Ich habe gestern eines hier im Bett fertig gemacht u. gab es dann , als er aus seinem Hauserl kam – er gieng damit ins Wohnzimmer, kam nach einer Weile herein – mit Thränen in den Augen u. sagte: „Ich bin ganz gerührt – das hier ist wunderschön!“ – Und er sagte noch einiges, was ich nicht wiederholen mag. Meine Freude ist groß!
Jetzt erst werde ich wirklich
etwas von haben – er will mit mir schwere Werke lesen – musiziren thut er schon[,] interessirt sich und liebt jede meiner Lebensäußerungen[.] – Kurz[,] der Mensch ist ein andrer – durch diese paar Leidenstage. – Freudig, heiter, glücklich, nur für mich leben wollend[,] das „papierne“ Leben, (wie er sein strenges Musikerdasein nennt) verlassend – obwohl er gerade jetzt eine ganze Symphonie gemacht hat – mit allen Schrecken dieser Zeit drin – – mit einem Wort – ich werde auf Händen getragen – wie nie zuvor – wenn ich etwas
halb ausspreche – habe ich es schon[.] – – – – –
Man bindet mich mit Liebe. – Ich fühle Wärmstes – aber keine – Liebe – aber verehren muss ich diesen Menschen – des/sen\ \Seele/ nobler und schöner wird, je nackter sie wird. –. Du frägst mich[,] ob es wirklich wahr ist, dass ich aufhören würde, Dich zu lieben – wenn Du mir untreu würdest. – So bin ich!! – Ich kann nur dort lieben – wo ich Echo finde – in einem leeren Sack \hinein/ nie u. nimmer. Also klug bin ich nicht – aber stolz bin ich. —
Wegen unserm [!] nächsten Wiedersehen, habe ich deshalb nie geantwortet, weil ich nichts Bestimmtes weiß und nichts ins Du Blaue reden will. Ich denke aber darüber nach u. bespreche mit . – Dadurch, dass jetzt von Dir weiß[,] eifersüchtig ist und – ich – nicht lügen kann – ist die Sache sehr erschwert. Ich bitte Dich noch[,] die halbwöchentl.[ichen] Briefe an Fr. (die Couverts) von jemandem andern schreiben zu lassen o. verstellt. 1000 – 1000. Alles was Du willst. –
[Postskriptum:] Du musst nicht 2 Couverts nehmen – liest es nicht!
Apparat
Überlieferung
, , , , , .
Quellenbeschreibung
3 Bl. (6 b. S.) – Briefpapier mit dunkelblauem Monogramm (Zum Material von Alma Mahler) aus den stilisierten Initialen AMs in Prägedruck (, , ).
Beilagen
Umschlag, , – Neubabelsberg bei | Berlin | Stahnsdorferstraße 83 | Herrn Walter Gropius; PSt. (lt. , S. 531, Nr. 112): TOBLACH 2 | 14 | 8 | 1 N | 10 | c; von WG mit einer 8. versehen (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen); fremdschr. Datierungsversuch nach Übergabe an : „[14.8.1910]“.
Druck
, S. 111, bei Anm. 79, , S. 434, bei Anm. 21 und , S. 44, bei Anm. 126 (jeweils Auszug), , S. 108, bei Anm. 115 (Auszug), , S. 874, bei Anm. 230 (mit irrtümlichem Auszug aus AMo3 in teils fehlerhafter engl. Übersetzung) und S. 878, bei Anm. 250 (Auszüge in engl. Übersetzung) sowie S. 879, Anm. 255 (partielle Inhaltsangabe), , S. 27, bei Anm. 53 (Auszug) und , S. 27, bei Anm. 53 (Auszug in engl. Übersetzung).
Korrespondenzstellen
Antwort auf WG44 vom 12. August 1910 (Fotos): Was für eine unbändige Freude hast Du mir gestern Abend gemacht. Die lieben Bilder.
Datierung
Schreib- und Absendedatum: „[14].8.1910“ (, S. 110, Anm. 66, S. 111, Anm. 78 und 79), „[14.] August 1910“ (, S. 434, Anm. 21), „[14].8.1910“ (, S. 42, Anm. 111, S. 44, Anm. 125 und 126, S. 60 sowie S. 309), Übernahme dieser Datierung bei , S. 874, Anm. 226 und 230, S. 878, Anm. 250 und S. 879, Anm. 255, „vermutlich Mitte August 1910“ (, S. 108, Anm. 115), „‚Sonntag‘, [14.] August 1910“ (, S. 27, Anm. 53), „‚Sonntag‘ [Sunday], [14] August 1910“ (, S. 27, Anm. 53).
Datiert durch AM und Poststempel: Sonntag, 14. August 1910.
Übertragung/Mitarbeit
(Sunjung Kim)
(Elke Steinhauser)
Bilder – s. AM18 vom 13. August 1910.
Studien – s. WG21 vom 27. bis 31. Juli 1910: Aktaufnahmen.
Akt – Zeichnung nicht erhalten. Als Zeichner kämen Freunde (Bildhauer) oder (Architekt) infrage.
Kodakbilder – Foto-Kontaktbogen mit größerer Anzahl von Porträtaufnahmen.
Fried – , Dirigent.
erste Heft meiner Lieder – s. Themenkommentar: Alma Mahlers publizierte Lieder.
Hauserl – s. AM14 vom 8. August 1910: Arbeitshaus.
etwas von G.[ustav] haben – zum „‚Komponierverbot‘“ s. AM16 vom 10. August 1910: entbehrt.
eine ganze Symphonie gemacht – s. Themenkommentar: Gustav Mahlers Zehnte Symphonie.
Briefe an Fr. Anna Moll – s. AM18 vom 13. August 1910: Gustav leidet.